„Eher holst du den Vogel im Flug ein, als Liebe die flieht.“ (Arthur Schnitzler)

„Eher holst du den Vogel im Flug ein, als Liebe die flieht.“ (Arthur Schnitzler)

Mit diesem kurzen aber alles andere als „schmerzlosen“ Zitat kann man mein Leben, das ich 2017 geführt habe oder besser das mich geführt hat, wohl trefflich beschreiben. Damals stand ich vor einem Abgrund, unendlich tief und ich hatte nicht das Gefühl, das da irgendwo ein Ende in Sicht sei.

„Nicht nur der Hochzeitstag mache euch glücklich. Kein Tag möge euch traurig sehen. Möget ihr die Kraft haben, dunkle Wolken zu vertreiben und dem Licht Einlass zu verschaffen, wenn es eure Herzen berührt.“ (Irischer Segenswunsch)

Dieser und die folgenden Segenswünsche wurden anlässlich unserer Hochzeit in der Kirche verlesen – geholfen haben sie nicht.

Eine Depression, das ist wie Fernsehen ohne Ton, du weißt, dass dir etwas fehlt, das die anderen hören können, aber du nicht und du kannst es auch nicht benennen. Du lebst in deinem eigenen Gefängnis, es ist wie eine Mauer, die du um dich herum aufbaust, eigentlich ist es ein Schrei nach Liebe und Zuneigung. Aber du kannst es nicht sagen, weil du selbst nicht merkst, was genau dir fehlt, sondern nur, dass dir etwas fehlt und um dich herum wenden sich die Menschen von dir ab und wundern sich, weil du komisch geworden bist. Sie können nicht wissen, dass es eine Krankheit ist, es ist eine Krankheit, die dich deine Liebsten verletzten lässt, nicht wie andere Krankheiten, die sich als Tumor, Ausschlag oder sonst wie äußern. Es ist wie ein Vampir, der dir das Blut aus den Adern saugt und du merkst es erst, wenn es zu spät ist. Es macht dich zu einem Zombie, vollkommen gefühlskalt und du drängst dich selbst immer weiter ins Abseits, bis sie sich ganz von dir abwenden, weil sie nicht mehr wollen oder nicht mehr können, weil ihnen die Kraft oder auch das Verständnis fehlt, weil sie sich selbst als Mitwirkende in einem Horrorfilm wieder finden und einfach nur noch wollen, dass dieser Horror ein Ende hat, egal wie. Und dann bist du alleine. Findest dich unverstanden im Abseits wieder und schlägst wild um dich, weil du nicht verstehen kannst, dass alle anderen deinen verzweifelten Schrei nach Liebe und Zuwendung einfach überhören können. So jedenfalls ist es mir ergangen. Aber die Depression hat viele Gesichter und das macht sie so heimtückisch.

„Liebe mich dann, wenn ich es am wenigsten verdient habe, denn dann brauche ich es am meisten.“ (Unbekannt)

Ich bin wohl schon seit Jahren depressiv. Ich habe eine Wochenbettdepression verschleppt, nach der Geburt meiner ältesten Tochter. Richtig schlimm wurde es aber erst, nachdem meine Jüngste 2015 schwer krank wurde. Meine kleine Maus war damals gelähmt, saß mehrere Wochen im Rollstuhl und als Folge davon bin ich seelisch und psychisch zusammengebrochen. Ich habe schon nach ihrer Reha gemerkt, dass etwas nicht stimmte aber ich konnte es nicht benennen. Zwei Monate nach unserer Heimkehr war es dann so schlimm, dass ich einen halben Tag Anlauf brauchte, um Einkaufen gehen zu können, alleine das Aufstehen in der Früh so viel Kraft kostete, dass ich mich dann danach erst mal wieder davon erholen musste. Klingt krank? Ja, war es ja auch. Wenn man solche Schicksalsschläge zu verarbeiten hat und dann, als Folge davon selbst krank wird, kann man nicht an seiner Beziehung arbeiten, dann funktioniert man nur noch (bestenfalls) und alle anderen Dinge werden zur Nebensache. Leider. Es gab aber auch bessere Phasen, denn ich habe mich mit Stricken – ja, richtig gelesen – intuitiv und unbewußt selbst therapiert. Und es hat mir aus meinem „dunklen Loch“ herausgeholfen. Aber eben nicht dauerhaft.

„Möge Gott dir nur aufbürden, was du tragen kannst, und ebenso dem, der an deiner Seite geht. Zufriedenheit und Frieden lenke euren Schritt. Möge der Segen, der über euch ausgegossen ist, immer mehr wachsen.“ (Irischer Segenswunsch)

Mein Noch-Ehemann sagte einmal zu mir, er dachte die Krankheit unserer Tochter hätte uns noch mehr zusammengeschweißt, aber bitte wie soll, das gehen, wenn man selbst krank wird und lange wusste ich ja selbst nicht einmal, dass ich krank war. Im Nachhinein kann ich mich an so viele Dinge erinnern, die eindeutig auf eine Depression hinweisen. Es ging schleichend bergab mit mir – heute fühle ich mich wie die Hauptdarstellerin eines schlechten Films. Im Grunde war es auch so. Jahrelang war ich wegen Müdigkeit und Antriebsschwäche beim Hausarzt. Und niemals wurde eine Depression diagnostiziert. Ich habe eine Mauer um mich herum aufgebaut und eigentlich wollte ich das Gegenteil erreichen. Es war ein verquerer Hilfeschrei nach Zuneigung, eine verzweifelte Bitte jemand möge die Mauer einreißen und mir helfen. Ein Schrei nach Liebe. Und niemand hat ihn gehört.

„Möge Kummer euch verschonen. Aber wenn Kummer euch heimsucht, mögen eure Tränen Gott so bewegen wie der Sturm die Baumspitzen der Eschen.“ (Irischer Segenswunsch)

Ich habe mir sehnlichst gewünscht von der Liebe meiner Familie getragen zu werden! Aber das Leben ist bekanntlich kein Wunschkonzert und erst wenn man richtig am Boden ist, erst dann merkt man wer noch zu einem hält und wer sich abwendet. Diesen Spruch kennen wir alle – ich habe das selbst schmerzlich erfahren müssen. Ich möchte mich nicht hinter meiner „Krankheit“ verstecken und alles damit entschuldigen. Ich bin ein Mensch mit Fehlern, wie alle anderen auch. Jeder verarbeitet Probleme auf seine eigene Art und Weise. Und ich bin eben nicht still und heimlich zusammengebrochen, ich kann und konnte meine Probleme nicht in mich „hineinfressen“. Und wenn wir ganz ehrlich sind, dann ist niemals einer alleine schuld, wenn es Probleme gibt!

„Solange Du dem Anderen sein Anderssein nicht verzeihen kannst, bist Du noch weit weg vom Weg der Weisheit.“ (Volksweisheit)

Dass sie mich nicht verstanden, erkannte ich gut an Bemerkungen wie ich solle mich zusammenreißen oder endlich meinen Hintern hochbringen und mir Arbeit suchen. (Außgerechnet von Noch-Schwiegermutti. Sie hat in ihrem Leben noch keinen Tag gearbeitet…) Das ist ungefähr so als würde ich jemanden mit einem gerade gebrochenen Bein dazu auffordern aufzustehen und eine Runde mit mir spazieren zu gehen. Es geht nicht. Zu einem Krebskranken würde auch keiner sagen er solle seinen Hintern hochbringen.

„Besser lieben und diese Liebe verlieren, als nie geliebt zu haben.“ (Augustinus)

Er war meine große Liebe. Das ist wohl auch der Grund, warum ich es so lange mit ihm und (ganz besonders) seiner Mutter ausgehalten habe. Als meine Älteste ein Baby war, wäre ich fast einmal gegangen. Ich hatte die Schnauze voll von Mutti. Monatelang flogen bei uns nur noch die Fetzen. Es ging so weit, dass sie mich sogar vom Stillen abbringen wollte. Mit der Flasche kann man Kinder so wunderbar vollstopfen. Ein übersättigtes Kind, ist ein ruhiges Kind und ein ruhiges Kind ist ein gutes Kind. Ich bin ein echter Fan von Retro. Aber nicht in jedem Fall. Also habe ich mir das nicht gefallen lassen. Doch genau das wurde mir später zum Verhängnis. Ich dumme Kuh habe durchgehalten. Nun, ich hätte meine Jüngste nicht, wäre ich gegangen. Also war es gut. Trotzdem – erst im Nachhinein wird mir so richtig bewusst, dass ich auch mit meiner hoffentlich bald Ex-Schwiegermutter verheiratet war. Oh Mann, meine Mutter hätte mir da aber auch schon gereicht. Sorry Mom, du weißt das ich Recht habe und du warst auch nicht gerade scharf auf mich als Nachbarin. Alleine der Gedanke reichte schon aus, um eine ausgewachsene Panikattacke zu bekommen. Noch nicht mal der Gedanke an eine Matheklausur konnte mir früher mehr Angst einjagen und ich war grottenschlecht in Mathe. Ich konnte sogar durch null teilen. Kann ich noch heute.

„Der liebt nicht, der die Fehler des Geliebten nicht für Tugenden hält.“ (J.W.v.Goethe)

So, noch mal. Auch wenn ich Gefahr laufe mich zu wiederholen. Ich bin psychisch krank, ja, und ich schäme mich nicht dafür! Ich denke gar nicht daran. Warum sollte ich? Ich kann doch noch nicht einmal etwas dafür. Aber ich kann etwas daran ändern! Und das, genau das, macht den Unterschied. Es ist noch immer ein Tabuthema und ich möchte meinen (bescheidenen) Teil dazu beitragen daran etwas zu ändern!

„Ehe ist, wenn man trotzdem liebt.“ (Sigismund von Radecki)

2 Kommentare

Jürgen Veröffentlicht am10:48 pm - Sep 10, 2018

Du hast es wundervoll beschrieben, wie sich eine Depression anfühlen kann. Vielen Dank für die Worte

    Jennifee Veröffentlicht am7:52 pm - Sep 11, 2018

    Lieber Jürgen, ich freue mich, dass dir mein Text so gut gefallen hat. Das zu schreiben, war für mich wie Therapie – sehr befreiend und ich hoffe damit auch anderen Mut machen zu können! Dann darfst du dich gerne auf mehr von mir freuen!

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben